Folgender Artikel ist im TAGESSPIEGEL zu lesen.
Die Schufa und die Folgen ihrer „Scores“:Ich habe drei Jahre auf Bewährung – wegen 8,04 Euro
Heute 19. April 2023, 11:01 Uhr
Von Ralf Schönball

Die Wirtschaftsauskunftei Schufa ist unter Druck. Auch durch ein Verfahren am Europäischen Gerichtshof. Ein Bericht über eine Bagatelle und wie sie die „Kreditwürdigkeit“ vernichtet.
Wegen 8,04 Euro bekam ich drei Jahre auf Bewährung. Die volle Wucht der Ächtung durch die Schufa trifft mich fortan immer, wenn ich einen Kredit brauche. Wegen des Schufa-Eintrags muss ich dann sehr viel mehr Zinsen für Schulden bezahlen als am Markt üblich, falls ich überhaupt eine Bank finde, die mir Geld leiht.
Die Wirtschaftsauskunftei kennt da keine Gnade. Keine mildernden Umstände. Wer einmal einen Eintrag kassiert hat, wird den Makel drei Jahre nicht mehr los. Auch, wenn es nur um einen einzelnen Fall geht, der längst erledigt ist. Um ein paar Euro. Um Bagatellbeträge, die nichts über die Zahlungskraft des Verbrauchers aussagen. Besser dran ist da, wer eine Millionenpleite hinlegt.
Denn die Schufa hat im März die Dauer der Datenspeicherung bei privaten Insolvenzen von drei Jahren auf sechs Monate verkürzt. Das gilt ausschließlich für Daten von Pleitiers nach abgeschlossenen Insolvenzverfahren. Einträge von Bagatellbeträgen oder sonstigen offenen Rechnungen bleiben nach Erledigung drei Jahre als Makel in der Schufa-Kartei des Verbrauchers.
Berechnungsmethoden der Schufa beschäftigen EU-Richter
Aber die Schufa, deren Bewertungen beispielsweise Vermieter oder Mobilfunkbetreiber zur Voraussetzung für einen Vertragsabschluss machen, ist unter Druck. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes meint: Die „Score-Werte“, die Auskunft über die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern geben, verstoßen gegen EU-Recht. Beim Scoring bewerten Schufa-Computer die Fähigkeit eines Verbrauchers, seine Kreditraten zu bezahlen.
Mein Score ist seit fast drei Jahren desaströs. Wegen 8,04 Euro. Die ich vor Jahren mit dem zwanzigfachen an Gebühren dazu zurückzahlte. Mancher wird sagen: Selbst schuld! Wer seine Rechnungen nicht zahlt, den soll die Schufa bei ihren Geschäftspartnern, den Banken und Handelsketten, ruhig anschwärzen. Das bringt Sicherheit ins Geschäftsleben und belohnt die Ehrlichen.
Zumal sich dieselben Regeln weltweit bewähren: Länder mit hoher Inflation, wackeliger Wirtschaft und wechselnden Regierungen zahlen auch höhere Renditen auf Anleihen, damit Anleger sie kaufen. „Risikoaufschlag“ nennt man das und dieser wird fällig, wenn der Gläubiger mit größerer Wahrscheinlichkeit auf seinen Forderungen sitzen bleiben könnte oder zumindest teilweise.
Nur: Stimmt die Verhältnismäßigkeit, wenn wegen 8,04 Euro das Scoring so drastisch sinkt, dass für einen neuen Kredit tausende Euros mehr an Zinsen fällig werden? Und ist es angemessen, dass der Verbraucher, selbst nach der Erledigung einer Bagatelle, noch drei Jahre lang zur Kasse gebeten wird?
Ein Gutachter bezweifelte vor dem Europäischen Gerichtshof, dass die Scoring-Methoden der Schufa mit europäischem Recht vereinbar sind. Maschinen erstellen den „Score“. Die Berechnungsmethode ist ein Geschäftsgeheimnis.
Gegen die Schufa klagte ein Verbraucher, der wegen seines schlechten Schufa-Scores keinen Kredit bekam. Seinen Protest gegenüber der Schufa beantwortete die Auskunftei mit allgemeinen Informationen zur Berechnung. Ein solches Schreiben erhielt auch ich.
Ein dummer Zufall und seine Folgen
Wie es überhaupt dazu kam? Vor ungefähr fünf Jahren wechselte ich mein Girokonto, weil ich zu einer Bank ohne Gebühren wollte. Bevor ich meine neue EC-Karte in Händen hielt, zahlte ich weiter meine Rechnungen mit der alten.
Was ich nicht wusste: Meine bisherige Bank kündigte den Dispokredit. Deshalb löste die Bank nur einen Teil der Forderung ein, die Aral mir beim Tanken abbuchen wollte: Auf 8,04 Euro blieb der Mineralölkonzern zunächst sitzen.
Ich bekam davon erst einmal nichts mit. Dafür kam zwei Wochen später ein Brief von „CCS Inkasso“. Zur „Hauptforderung“ von 8,04 Euro addierten die Geldeintreiber „Bankrücklastschriftskosten, Adressermittlungskosten, Verzugsschaden der Payment Service, Geschäftsgebühr, Auslagen“ und verlangten unter dem Strich von mir 83,05 Euro – das Zehnfache der unstrittigen Forderung!
Aussitzen von Forderungen rächte sich
Ich tobte und rief einen Bekannten an. Der ist Rechtsanwalt. Er gab mir einen Rat, den ich nie hätte annehmen dürfen: „Lass das liegen, wegen so einer Forderung geht keiner vor Gericht.“ Das war sicher richtig. Aber die meisten Firmen gehen zur Schufa. Davor warnte er mich nicht. Und ich hatte nicht daran gedacht.
131,76
Euro Inkasso-Gebühren, Anwalt- und Gerichtskosten fielen wegen 8,04 Euro an.
Monate passierte nichts, dann kam ein Schreiben der Rechtsanwälte RH&Kollegen: „Wir fordern Sie nochmals auf, die Gesamtforderung von 131,76 Euro auszugleichen“. Rechtsanwaltsgebühren und Gerichtskosten waren auf die Inkasso-Kosten aufgeschlagen worden und zur „Hauptforderung“ von 8,04 Euro.
Mit der gefühlten Unverhältnismäßigkeit zwischen Forderung und Gebühren wuchs meine eigene Sturheit. Zumal nicht eine Mahnung der Eskalation vorausgegangen war. Drei Jahre lang saß ich den Fall aus.
Kredite nur noch mit Zinsen über Markniveau
Ich hatte die Sache längst vergessen, als ich mit dem Gedanken spielte, einen Speicher für unsere Solaranlage auf Pump zu kaufen. Kredite gab es gerade für nicht mal einen Prozent Zinsen. Zinsen und Tilgung hätte ich fast über die eingesparten Stromkosten hereingeholt.
Doch mit der Anfrage beim Kreditvermittler kam die Schufa ins Spiel: Nur eine Bank gab ein Angebot ab und verlangte für ein paar Tausend Euro Kredit das Zweieinhalbfache der marktüblichen Zinsen. Als ich fragte, wieso, hieß es, mein Schufa-Score sei schlecht.
Den Stromspeicher kaufte ich nicht. Ich bezahlte die alte Rechnung. Und das Zwanzigfache an Gebühren. Seitdem läuft die Bewährung. Noch bis August dieses Jahres.
Nach deutschem Recht ist das richtig so. Die Schufa schreibt: „Diese Verhaltensregeln wurden am 25. Mai 2018 genehmigt“ von der „zuständigen Aufsichtsbehörde, der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen“. Und weiter: „Die Notwendigkeit der fortwährenden Speicherung wird jeweils drei Jahre taggenau nach dem jeweiligen Ereigniseintritt überprüft“.






NEUE INFORMATION ÜBER SCHUFA



Neues zur Schufa EUGH
Schufa Laut EuGH Gutachten.pdf (353.76KB)
Neues zur Schufa EUGH
Schufa Laut EuGH Gutachten.pdf (353.76KB)


 


Laut EuGH-Gutachten
Schufa-Scoring verstößt gegen EU-Recht
16.03.2023, 12:58 Uhr

Das Schufa-Logo ist an einer Wand der Firmenzentrale in Berlin angebracht.
© Quelle: Andreas Arnold/dpa/Archivbild
Neue Wohnung, neuer Handyvertrag oder Stromanbieterwechsel - da kommt schnell die Schufa ins Spiel. Ihre Berechnung zur Kreditwürdigkeit von Menschen steht nun auf dem Prüfstand. Laut eines Gutachtens des Europäischen Gerichtshofs verstößt sie gegen geltendes EU-Recht.
Hintergrund des Verfahrens vor dem EuGH sind mehrere Fälle aus Deutschland. Im ersten Rechtsstreit forderte der Kläger die Schufa auf, einen Eintrag zu löschen und ihm Zugang zu den Daten zu gewähren, nachdem ihm ein Kredit verwehrt wurde. Die Schufa teilte ihm jedoch nur seinen Score-Wert und allgemeine Informationen zur Berechnung mit. Die Berechnungsmethode an sich ist ein Geschäftsgeheimnis, wie der Bundesgerichtshof (BGH) bereits vor Jahren entschieden hatte. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden legte den Fall dem EuGH vor, um grundsätzlich das Verhältnis zur europäischen Datenschutzgrundverordnung klären zu lassen.
Diese Verordnung schreibt vor, dass Entscheidungen, die für Betroffene rechtliche Wirkung entfalten, nicht nur durch die automatisierte Verarbeitung von Daten getroffen werden dürfen. Eine Maschine soll also nicht über einen Menschen entscheiden. Der Generalanwalt befand nun, dass bereits die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Kreditwürdigkeit - der Score-Wert - eine solche verbotene automatische Entscheidung darstelle. Das gelte auch, wenn dann noch Dritte wie beispielsweise Banken endgültig entschieden, ob die Person kreditwürdig sei.
Im zweiten Fall geht es um die Restschuldbefreiung nach einer Insolvenz. Privatleute haben die Möglichkeit, sich durch eine Verbraucherinsolvenz innerhalb eines begrenzten Zeitraums von ihren Schulden zu befreien, auch wenn sie nicht alles zurückzahlen können. Am Ende eines erfolgreichen Verfahrens steht die sogenannte Restschuldbefreiung.
Die Insolvenzgerichte machen solche Informationen öffentlich, löschen sie aber nach einem halben Jahr. Die Schufa löscht solche Einträge in ihrem Register allerdings erst nach bis zu drei Jahren. Das ist nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts rechtswidrig. Ziel der Restschuldbefreiung sei es, dass die Betreffenden sich wieder am Wirtschaftsleben beteiligen können. Das würde vereitelt, wenn private Wirtschaftsauskunfteien die Daten über die Insolvenz länger speichern dürften. Der Bundesgerichtshof prüft derzeit einen ähnlichen Fall.
RND/dpa



https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/schufa-111.html

 

 

 

 

 

 
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